Auf wen geht der Begriff Missing Link wirklich zurück?

Bisher lebte ich in dem festen Wahn, dass der Begriff "Missing Link" auf Charles Darwin oder Thomas Henry Huxley zurückgeht. Neulich las ich mit großer Aufmerksamkeit das fast völlig vergessene (und erstklassige) Buch von Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren. Das Buch wurde 2000 im Eichborn Verlag wieder veröffentlicht und ist sehr schwer zu erhalten. Es hat ein exzellentes Nachwort des Dojen der nonverbalen Forschung, dem nordamerikanischen Psychologen Paul Ekman. Er ist der Erfinder des Facial Action Coding Systems (FACS), dem maßgeblichen System zur Qualifizierung emotionaler Gesichtsausdrücke.

Mit dem Missing Link wollte ich es dann ganz genau wissen und fand durch den hilfreichen Hinweis des Biologen von der Uni Tübingen Thomas Junker (auch ein erklärter Gegner des Intelligent Design Nonsense) heraus, dass der Begriff Missing Link vom englischen Geologen Charles Lyell stammt. Lyell stellte sich 1851 die Frage nach den Übergangsformen zwischen dem afrikanischen und indischen Elefanten.

Somit ist also eigentlich Charles Lyell und nicht Charles Darwin der Namenspatron des mli. Lyell gelang es als Erstem, geologische Schichten durch eingelagerte Muschelschalen bestimmten Perioden des Erdzeitalters sinnvoll zuzuordnen. Auf Grund dieses Verfahrens teilte er z.B. das Erdzeitalter des Tertiär in drei Phasen auf: Pliozän, Miozän und Eozän. 1863, Lyell war inzwischen zu einem Befürworter der darwinschen Evolutionstheorie geworden, verankerte er den Begriff Missing Link endgültig im öffentlichen Bewusstsein.

Bald wurde der Terminus Missing Link von Darwins Gegnern als Argument aufgegriffen, dass das fossile Missing Link als das entscheidende Beweisstück der Evolutionstheorie fehle. Die im Laufe der Zeit präsentierten Missing Links vom Urvogel Archaeopteryx (1861), dem Neandertaler (1856), dem Homo erectus (Java 1891) und dem Australophitecus africaus (1924) hielten nach einer genaueren Prüfung als Missing Link nicht stand. Möglicherweise wird auch Ida (2009) dieses „Schicksal“ erleiden und trotz des Namens Darwinius und den hochgesteckten Erwartungen nicht endgültig als Missing Link anerkannt. Zudem ist die heutige paläontologische Gemengenlage zu vielfältig, als dass man weiter auf die Entdeckung eines einzelnen Missing Links hoffen sollte. Gleichwohl oder gerade deshalb hat sich der Begriff als sprachliche Metapher für ein fehlendes Bindeglied fest eingebürgert. Wer die Begriffsgeschichte ganz genau nachlesen möchte, wird hier fündig. Click

 August 2010