Eröffnung des Ernst von Glasersfeld Archiv

Am 22. März wurde an der Universität Insbruck, im festlichen Rahmen das Ernst von Glasersfeld Archiveröffnet. Es ist ein Bestandteil des Brenner Archivs. Das Auffällige an der Eröffnung des Archivs war, dass aus dem gesamten deutschen Sprachraum (neben mir) nur ein einziger weiterer Vertreter aus der gesamten Therapie- und Beratungsszene zu Gast war. Die anderen Gäste waren Vertreter  anderer Fachdisziplinen. Das lässt darauf schließen, dass der radikale Konstruktivismus, der in der Theoriebildung der systemischen Szene immer noch eine große Rolle spielt, längst zu einer bequemen Rechtfertigungsphilosophie einer subjektivistischen, funktionalistischen, (b)innenweltorientierten und quietistischen Psychopolitk des neoliberal-postdemkratischen Gesllschaftsumbaus geworden ist. Ob Ernst von Glasersfeld das so verdient hat, ist eine andere Frage. Ich hatte Ernst zwar auch immer als einen politisch denkenden Menschen erlebt. Bspw. sprachen Ernst und ich bei einem Besuch des Schlachtfelds Lingekopf in den Vogesen über den Wahnsinn der ständig steigenden Rüstungskosten und dass die kriegsbedingte Ermordung eines Menschen ständig teurer würde. Aber in dem Band „Radikaler Konstruktivismus“ (S. 348) gesteht EvG auch unumwunden ein, dass der Radikale Konstruktivismus keine Gesellschaftstheorie beinhaltet und individuumszentriert sei.

Gleichwohl war Ernst in seinen letzten Lebensjahren, wie er in verschiedenen Mails zum Ausdruck brachte, darum besorgt, dass sein Lebenswerk durch eine unpolitische, subjektivistische Ausdeutung und Ausbeutung Schaden nehmen könnte. EvG scheint als politischer Grenzgänger zwischen den politischen Fronten eher unverdächtig.

Mit Heinz von Foerster sieht die Sache schon etwas kritischer aus, da HvF für sein „Biological Computer Laboratory“ in Illinois in erster Linie den CIA als Geldgeber hatte (vgl. den Film „Das Netz“ von Lutz Dammbeck 2004). Diese Tatsache wird die systemische Szene nicht besonders gutieren, wenn einer ihrer theoretisch-konstruktivistischen Säulenheiligen als CIA-Angestellter aus der Rüstungsforschung geoutet wird, aber diese Finazierungen sind seit vielen Jahren hinreichend bekannt. Bei Anhängern des radikalen Konstruktivismus führen Tatsachen bekanntlich nicht zu besonderen Erkenntnisleistungen über die Außenwelt, da theoriebedingt die Außenwelt nicht ohne den (ideologischen) Blickwinkel des Beobachters erkennbar ist, sondern eine subjektivistische Erkenntnisleistung des jeweiligen Gehirns ist. Man kann schließlich das sein, was man sein will, mein(t)en zumindest die Kirchgänger aus der radikal konstruktivistischen Glaubensgemeinschaft. Oder alle Theorien außer dem radikalen Konstruktivismus sind Konstrukte. Der radikale Konstruktivismus muss allein schon deshalb wirklich wahr sein, weil er alle anderen Theorien als Konstrukte outet und die selbstrückbezügliche Konstruktunterstellung in diesem einzigen Falle nicht gilt und deshalb nicht angewandt werden darf. Und wer sich auf diesen Bullshit nicht beschränken will, der lernt die gesammelte Humorbefreiheit der radikalen Konstruktivisten kennen. Da hört der Spaß auf, zumindest für die radikalen Konstruktivisten. 2010 habe ich Ernst mit einem Nachruf gewürdigt: Skifahren auf bunten Wiesen in den blauen Bergen der Vogesen.