Seminar: Sinnstiftung durch den Dreiklang von Psychologisieren, Biographisieren und Politisieren?
Ich, Du und die anderen … Selbstorganisation – Selbststeuerung und die Frage nach dem Sinn
Seminar auf der 18. Wissenschaftlichen Jahrestagung der DGSF
In diesem Seminar werden die zentralen Neuerungen der [MATRIX]-Beratung in der letzten (sechsten) Entwicklungepoche dargestellt und erläutert
Aktuell wurde der Titel erweitert, denn der Dreiklang ist mtlw. zu einem Vierklang geworden. Mir war bei der Konzeption dieses Seminars im November ‘17 jenseits der Dimensionen Psychologisieren, Biographisieren und Politisieren die zentrale Bedeutung der vierten Dimension, nämlich die des Historisierens, noch nicht richtig deutlich geworden. Explizit wurde ich durch einen Vortrag von Michael Ganser auf die Wichtigkeit, den Sinn und den Zweck des Historisierens aufmerksam gemacht. So wie das Biographisieren das Psychologisieren durch die Zeit zu gleichzeitig sich verändernden und sich stabilisierenden Mustern verknüpft, erweitert das Historisieren durch die Dimension der Zeit das Politiseren zu gleichzeitig verändernden und stabilisierenden Bewertungen des Politisierens.
Demgemäß bewirkt das Historisieren häufig eine Revison der bisherigen Ergebnisse des Politisierens, wie bspw. durch neuzugänglich gewordene Quellen oder Archive oder neue Ereignisse oder Entwicklungen oder/und dadurch neue bisher nicht bekannte oder plötzlich ans Licht gekommene Tatsachen und Fakten. Dadurch kann dann plötzlich eine völlige Umkehrung oder ein Paradigmenwechsel oder eine Zeitenwende des bisherigen Politiserens eingeleitet werden.
Damit ist der richtige Titel des Oldenburger Seminars nun „Sinnstiftung durch den Vierklang von Psychologisieren, Biographisieren, Politisieren und Historisieren? Zur Theorie und Praxis des [MATRIX]-Beratungsmodells.“
Daniele Ganser beschreibt diese Neubewertungen durch den Vorgang des Historisierens anhand der im Laufe der Zeit neu aufgetauchten Fakten bzgl. 9/11, die dann die Schlüsse zulassen, dass die Darstellungen, Bewertungen und daraus abgeleiteten Erklärungen der USA-Regierung zu 9/11 nicht stimmen können.
Mein Beispiel war bisher die Ermordung von Benno Ohnesorg. Am 2. Juni 1967 wurde in einem Hinterhof der Student Benno Ohnesorg vom Polizisten Karl-Heinz Kurras auf einer Anti-Schah Demonstration in der Krummen Str. erschossen. Kurras wurde dafür nie verurteilt. Ohnesorg galt als sensibler und introvertierter Student. Plötzlich war aus den außerparlamentarischen Demonstrationen tödlicher Ernst geworden. Ohnesorg galt als Opfer des faschistisch-kapitalistischen BRD Staates. Seine Ermordung führte zum westdeutschen Terrorismus, zum Beispiel zur „Bewegung 2. Juni“: Alle wussten, was der 2. Juni bedeutet. Mit diesem Datum im Namen wird immer darauf hingewiesen, dass sie zuerst geschossen haben!“
Im Rahmen eines Aktenfundes stellte sich im Mai 2009, also 42 Jahre später, heraus, dass der Todesschütze Kurras SED-Mitglied und IM der Stasi war. Jetzt stellt sich folgende Frage: Wäre dieses Faktum schon damals bekannt geworden, wäre dann die Geschichte der BRD und der Bonner Republik anders verlaufen? Welche Anschlusstaten hätten nicht stattgefunden, und welche Biographien wären anders verlaufen?
Mit anderen Worten, im zunächst nicht-sichtbaren (nicht einsehbaren) Teil der realen Außenwelt gibt es Zusammenhänge, die zunächst nicht-sichtbar sind, manche werden nie aufgedeckt, obwohl sie ihre negative oder positive Wirkungspotenz schon längst entfaltet haben. Die Ergebnisse der Tiefen-Hermeneutik hängen also auch von Fakten ab, die dann noch gewertet, bewertet und interpretiert werden müssen. Mit Tiefenhermeneutik ist nicht das Aufspüren obskurer Zusammenhänge oder metaphysischer oder mysteriöser Firlefanz gemeint, sondern tatsächliche, von Menschen gemachte, politische Zusammenhänge und die daraus ableitbaren Zusammenhangsvermutungen.
Im Unterschied zum harmonischen Dreiklang ist der Vierklang oder der Septakkord aus drei übereinander geschichteten Terzen durch die Einbeziehung der Septime häufig ein wenig(er) harmonisch klingender Akkord als der klassische Dreiklang und dessen ‘Goldene Terzen‘. Überträgt man diesen musikalischen Metaphern auf politische Konzepte, dann würde das bedeuten, durch die vierte Dimension Historisierung können zunächst stimmige Harmonien zu politischen Dissonanzen führen.
M.a.W. am Beispiel der historischen Analysen zu 9/11 von Daniele Ganser wird sichtbar, dass die offiziellen Verlautbarungen der amerikanischen Administration zu 9/11 mehr Fragen aufwerfen als plausible Antworten liefern. Gansers historisierende Analysen verweisen den bisherigen Untersuchungsbericht der US-Administration in den Bereich des Storytellings, der Märchen und Mythen. Gleiches gilt für den vorherigen ‘Mythos‘ zur Ermordung von Benno Ohnesorg. Die neuen Fakten aus dem Jahre 2009 zu seiner Ermordung ergeben eine gegenteilige Geschichte.
Durch Historisieren können bisherige, vermeintliche Fakten plötzlich als ideologisch basierte Faktenmelange (fake news würde man heute sagen) neu bewertet werden und kommen zumindest in den Verdacht, politische Zwecklügen gewesen zu sein. Und das erzeugt bei dem Weltbildeigner erhebliche Dissonanzen und mglw. auch eine Korrektur seines Weltbildes und seiner Identität. Die kognitive Dissonanztheorie der Sozialpsychologie beschäftigt sich eingehend mit solchen Vorgängen, und die Geschichte ist voll mit solchen Beispielen.