Anfertigung der eigenen Klangbiographie. Zur Stimmanalyse III
Mithören • Zuhören • Anhören • Hinhören • Reinhören • Durchhören • Nachhören • Verhören • Überhören • Weghören
Beim ersten Zuhören richtet das Lebewesen sein Hören auf Indizien; nichts unterscheidet auf dieser Ebene das Tier vom Mensch: Der Wolf horcht auf das (mögliche) Geräusch im Walde, der Hase auf das (mögliche) Geräusch des Feindes, das Kind, der Verliebte horchen auf die näher kommenden Schritte, die vielleicht die der Mutter oder des geliebten Wesen sind. Das erste Zuhören ist sozusagen ein Alarm. Das zweite ist ein Entziffern; was man mit dem Ohr zu erfassen sucht, sind Zeichen. Hier beginnt vermutlich das Menschliche:
Ich höre zu, wie ich lese, das heißt nach bestimmten Codes.
Roland Barthes, Der Körper der Musik (1976)
Fragenkatalog zur Erstellung der eigenen Klangbiographie
(V. 1.2 8/24)
Neben möglichst neutralen, objektiven Dimensionen der Beschreibung hat die Stimmanalyse immer auch subjektive, einschätzende Bewertungen auf unterschiedlichen Dimensionen. Da der Hörvorgang als Fernsinn in unübersichtlichem Geländer der Sicherung und Einschätzung von Geräuschen als mögliche Gefahrenquellen dient/e, sind Klangmuster subjektiv und häufig un- oder vorbewusst codiert.
Gerade für diese Dimension ist es nützlich, wenn man sich seiner klanglichen Begegnungen, Prägungen und Präferenzen im Laufe (s)einer Biographie einerseits bewusst wird und andererseits (s)eine bewusste Wahrnehmungsschulung des Gehörs von Klängen erweitert und in den biographisch, historischen Kontext stellen kann. Somit könnte man (s)eine Klangbiographie, ebenso wie (s)eine Musikbiographie als akustische Unternehmungen der Selbsterfahrung bezeichnen, die die eigene häufig vor- oder unbewußte Hörerziehung in einen gedanklich, assoziativen, emotionalen und historischen Horizont einer Bewusstmachung stellen. Man wird sich dadurch seiner diesbezüglichen klanglichen Begegnungen, Prägungen und Präferenzen, also klanglichen Mustersprache bewusst.
Nach der Klangbiographie von PWG als einem persönlichen Beispiel stellt sich die Frage, welche Komponenten, Bereiche und Fragecluster lassen sich daraus verallgemeinernd destillieren, so dass man damit einen „Werkzeugkasten“ erhält, mit dem man sich auf den Weg machen kann seine eigene Klangbiographie zu erforschen.
Orte
An welchen Orten habe ich länger gelebt?
Bzw. welche Orte haben mich besonders beeindruckt?
Behausungen, Häuser
In welchen Behausungen, in welchen Umwelten habe ich da mit wem, wie lange gelebt und was gemacht?
Welche Unterscheidungen gab es zwischen Klänge innerhalb und außerhalb der Behausung?
Welche Klänge auf Grund oder durch welche Behausung?
Stadt oder Land
Klein-, Mittel-, Groß-, Megastadt, Dorf, Weiher, Einzellage
Landschaft
Welche Klangumwelten wurden durch die Landschaft geprägt?
Meer, Gebirge, Bäche, Flüsse, Ströme, Vulkane, Erdbeben
(siehe hierzu auch die Checkliste für Häuser, Grundstücke und Lebenswelten).
Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten
Wie waren an diesen Orten die regelmäßigen sich wiederholenden oder zyklischen Klänge und Klangstrukturen?
Gabe es an diesen Orten typische Soundscapes (Klangumwelten) oder besondere Soundscapes zu besonderen Anlässen?
Komponenten
Aus welchen Komponenten bestanden diese Soundscapes?
Welche Komponenten waren naturbedingt durch Klima, (Un-)Wetter, Wind, Sturm, Regen, Gewitter, Hitze, Kälte, Schnee, Frost, Vegetation wie Bäume, Blätter, Büsche, Pflanzen, Blumen?
Laute des Lebens
Tiere
Welche Tierlaute waren zu hören?
Haus-, Nutz-, Wildtiere, Vögel, Insekten?
Wie war die Nähe oder Entfernung welcher Klänge?
Menschen
Welche Klänge von menschlichen Tätigkeiten oder Bewegungen waren zu hören?
Welche dieser Klänge wurden von Handwerk, Industrie, Infrastruktur und Verkehr verursacht, wie
Nah-, Fernverkehr, Mobilität, Autos, Busse, Lastwagen, Sonderfahrzeuge, Züge, Flugverkehr.
Gab es jahreszeitliche, arbeitstägliche, wochenendliche, feiertägliche, im Tagesverlauf oder Tag- und Nacht Unterschiede?
Heiliger Lärm, weltliche Stille
Glocken, Gesänge, Gebete, Schweigen, Ruhe, Stille, Totenstille?
Lautstärken von Geräuschen, Klängen, Musik?
Wahrnehmungsschwellen, An- und Abschwellen, Wellen, Rhythmik?
Lärm, Klang, Musik, Medien
Handelt es sich eher um undifferenzierten Lärm oder um definierbare Klänge?
Wie ist der Unterschied zwischen (schwachen) Signalen und Rauschen?
Wie war das Verhältnis von musikalischen zu sonstigen Klängen?
Welche musikalischen Klänge waren es?
Gesang, Instrumente, Arrangements, Genres, Aufführungsorte?
Natürlich erzeugt oder medial wie? Mit welcher Qualität übertragen und reproduziert?
Frieden oder Krieg
Waren es Klangstrukturen des Frieden oder waren es Klangstrukturen des Krieges?
Wie Geschrei, Tumult, Schüsse, Knall, Bomben, Explosionen?
Geräusche und Geruch
Welche Geräusche und Klänge gingen mit welchen Gerüchen einher?
Materialien und Dokumente
Häufig gibt es im Unterschied zu Photos keine Tondokumente von Klanglandschaften oder gelegentlichen „Sound Schnappschüssen“ aus der biographischen Vergangenheit. Soweit es diesen geben sollte, sollten sie natürlich genutzt werden.
Ansonsten sind alle Dokumente und Dimensionen zur Übersicht- und Zusammenhang-bildenden Biographiedarstellung, wie sie in dem mühle-media E-Book Praxishandbuch zur Biographieanalyse und Zukunftsgestalung beschrieben sind, von Nutzen. Dabei müssen diese Dimensionen dann in die auditiven und klanglichen Höreindrücke und Erinnerungen transferiert werden.
Die Print Fassung des Praxishandbuches ist zur Zeit leider vergriffen.