Zur Stimmanalyse I Wie alles anfing

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Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Herrmann Hesse (1877-1962), Stufen
Aus dem Glasperlenspiel, hinterlassene Schriften des „Magister Ludi“ Josef Knecht, Kapitel: Die Gedichte des Schülers und Studenten.

Wie alles anfing mit der Stimmanalyse
1984 landete PWG (aus verschiedenen Gründen mit seiner damaligen Frau D.S.) auf einem Nobelhochzeitsfest im Kölner Stadtteil Lindenthal. (Die Folgen dieser Nobelhochzeit ermöglichten ihm später Einblicke in die internationale Politik und die dort praktizierten Beziehungen.) In dem eleganten Stadthaus war über Einrichtung, Hochzeitsmahl, Getränke usw. alles vom Feinsten. Trotzdem schienen die Gäste dieser Party überwiegend gelangweilt und desinteressiert. Die Damen waren elegant und teuer gekleidet, teilweise hatten sie ein halbes Einfamilienhaus um den Hals hängen, und bloß mit einem Porsche vorzufahren wurde mit missbilligendem Liderheben kommentiert. 

Kurzum – die überwiegende Anzahl der Gäste war das arrivierte Bürgertum eines juste millieu, blasiert und arrogant. PWG langweilte sich auf dieser Party halb zu Tode. Gegen 22:00 Uhr gab ein ehemaliger Klassenkamerad des Bräutigams als Hochzeitsständchen ein mittelalterliches Troubadour Lied zum besten, das er mit seiner Gambe begleitete. Wie PWG später lernte, war das die „Douce Dame Jolie“ von Guillaume de Machaut (ca. 1300-1377).
Dieser Mensch schien PWG nicht nur eine der wenigen „originellen“, interessanten und kultivierten Personen auf diesem Hochzeitsfest, sondern darüber hinaus insgesamt bemerkenswert. Diesem Hochzeitsgast schien die Hochzeit ähnlich wie PWG zu erleben. So machten sich die beiden „Outlaws“ im weiteren Verlauf des Abends miteinander bekannt. Es entspann sich ein Gespräch von ca. 4 bis 5 Stunden bis zum Morgengrauen über die Inhalte und sinnlichen Eindrücke beim Durchforschen elterlicher Nachttischschubladen. Es war ein gelungenes Gespräch über ein nicht gerade alltägliches Thema. PWG hatte an diesem Abend den Musiker, Komponisten und Maler Niklas Trüstedt aus Berlin kennengelernt. Seit nun mehr vierzig Jahren ist PWG freundschaftlich und auch beruflich mit Niklas Trüstedt verbunden. Mittlerweile hat sich Niklas Trüstedt auf Grund seines fortgeschrittenen Alters zur abrundenden Vervollständigung seine künstlerischen Gesamtwerkes mehr und mehr ins Privatleben zurückgezogen.
Es sei nur am Rande erwähnt, dass PWG an diesem Abend auch noch W. Ernest Freud (1914-2008) kennenlernte. Eine weitere bemerkenswerte Person. Mit Ernest tauschte sich PWG über Geburtstraumata und pränatale Erinnerungen aus, was in der damaligen Zeit noch ein seltenes Fachgebiet war. Ernest war damals erst 70 und saß meist mit geschlossenen Augen auf dem Hochzeitsfest. Auch er schien von dem Treiben etwas gelangweilt zu sein. Interessant war, wenn er im Gespräch gelegentlich die Augen öffnete, die in einer Art feurig glutrotem Schein zu leuchten schienen. Es schienen Augen zu sein, die schon sehr viel gesehen hatten und aufgrund dessen sehr tief blicken konnten. Ernest Freund hat mit seinen Beiträgen zur (prä- und postnatalen) Bindungsforschung ebenfalls Grundlagen für die Mentalisierung gelegt.

Der Abend mit Trüstedt war PWG in so intensiver und guter Erinnerung, dass er drei Wochen darauf, obwohl nicht gerade Fachmann für klassische und speziell mittelalterliche Musik, der Einladung zu den Proben und einer Aufführung der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach in der Martinikerk in Groningen nicht widerstehen konnte. Die gemeinsame nächtliche Rückfahrt nach der Aufführung von Groningen nach Plettenberg, dem Geburts- und wieder damaligen Wohnort, war für PWG die Einführung in eine neue Welt, die der mittelalterlichen Musik auf Originalinstrumenten und die der Obertöne. PWG war von Niklas Trüstedts Erzählungen über diese Themen fasziniert, insbesondere von seiner beiläufigen Bemerkung, dass jede menschliche Stimme ein Obertonspektrum habe, das Rückschlüsse auf den Charakter und die Biographie eines Menschen ermögliche.

Ende 1984 Monate lud PWG als Lehrtherapeut der igst in Heidelberg Niklas Trüstedt als Gastreferenten in einen seiner igst-Kurse über systemische Therapie ein, um ihm bezüglich seiner Bemerkungen und Aussagen, anhand der Stimme Einschätzungen über Personen machen zu können, etwas genauer auf den Zahn fühlen zu können.

Dies war die Geburtsstunde der über Jahrzehnte andauernden Diskussionen, Forschungen und Entwicklungen zum Thema Stimmanalyse und Differenzierung des Hörvermögens.
Seit dieser Zeit haben Trüstedt & PWG jährlich bis 2015 mindestens zwei Workshops zu diesem Themenkreis durchgeführt. Es sei bemerkt, daß die Ideen und Arbeit von Trüstedt als einer von vielen Gastreferenten (z.B. Gianfranco Cecchin oder Luigi Boscolo u.v.a.m.) in den PWG Seminaren von den Teilnehmern stets exzellente Rückmeldungen erhielten. Ab 1995 waren unsere Stimmanalyse Seminare hinreichend evaluiert und wurde seitdem in speziellen Workshops außerhalb der igst Kurse durchgeführt.

Biographische Grundlagen
Wie kam es, dass PWG von Trüstedts Erzählungen zu Musikgeschichte, Obertönen, Stimmerziehung und Stimme so fasziniert war? Dazu folgende Schlaglichter auf einige seiner eigenen Schlüsselerlebnisse bezüglich Stimmen und Musik:

  • 1952 erblickte PWG in Dunkel`s Mühle in Plettenberg im Sauerland das Licht der Welt. Dunkl's Mühle war wie PWG erst viel später klar wurde, ein „unbezahlbares Haus“ mit einer „unbezahlbaren Klangsignatur“. 
  • Sein Vater verbrachte einen Teil seiner knapp bemessenen Freizeit mit dem Hören von Operetten. „Die Fledermaus“ und „Der Zigeunerbaron“ waren neben vielen anderen für PWG vertraute Werke und Gestalten.
  • Auf einer kleinen Ferienreise (nach Ittenbach im Siebengebirge) mit seinen Großeltern sang seine Großmutter mütterlicherseits (die meinte, ein schicksalsschweres Leben beklagen zu haben) eines Abends in einer lauen Sommernacht bei sternenklarem Himmel das Lied „Weißt du wieviel Sternlein stehen?“. Dieser hausgemachte Belcanto-Schmelz von kitschig-romantischer Süße, Lebensschwermut und zeitlebens unerfüllter spiritueller Sehnsucht klang in PWG's Ohren mehr schaurig und schmerzhaft als schön.
  • Ende der 50er Jahre stand zur Debatte, dass PWG, wie viele seiner Klassenkameraden, Klavier, Geige oder Flöte lernen sollte. Die Leidensmienen seiner Klassenkameraden vor und nach ihrem Musikunterricht bestärkten ihn in dem festen Willen, sich einer solchen Tortur unter keinen Umständen zu unterziehen. Mit der Folge, das zwar seine Willenskraft, Widerspenstigkeit und Eigenständigkeit erheblich gestärkt wurden, PWG aber bis heute nicht fähig ist, selbst in die Tasten und Saiten zu greifen (leider). Diese von PWG (durch eigene Dummheit) versäumte Musikerziehung und -biographie wurde später – zumindest auf theoretischer Ebene – von Niklas Trüstedt nachgebessert.
  • Im Großfamilienverband von Dunkel‘s Mühle in Plettenberg, (wo unter einem Dach gelebt und gearbeitet wurde), gehörten junge Hauswirtschafterinnen zum festen Bestand. Diese Hausmädchen pflegten am Wochenende in Petticoat-gebauschten Röcken auf Tanzpartys zu gehen und sich zuvor durch Elvis und andere Rock`n`Roll-Scheiben in die richtige Stimmung zu bringen. Diese Stimmen und Musik trafen PWG mit ähnlicher Intensität und Wucht, wie die Stimme seiner Großmutter – nur mit völlig anderen Wirkungen und Empfindungen.
  • Zehn Jahre später, 1968, (PWG pubertierte ein wenig) waren Rock`n`Roll, R&B, Soul und Jazz Musik für PWG schon eine feste Bedeutungsgrößen. Im Juni ’68 erschien das Meilenstein-Album der Beatles „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Von Stund an investierte PWG sehr viel Zeit, Gehirnschmalz und auch finanzielle Mittel in den Aufbau von Stereoanlagen, um dem Klangideal, wie solche Musik im Original wohl klingen müsste, näher zu kommen. Dies war seine Kompensationskrücke zum Ausgleich der Folgen seiner Weigerung, sich einer musikalischen Erziehung zu unterziehen und gleichzeitig der unbewusste Beginn seiner langjährigen Eigenschulung im Hören.
  • Wiederum zehn Jahre später, mit ca. 25, während seines Psychologiestudiums in Marburg, lernte PWG einen seiner ersten Lehrer im Fach Psychotherapie – Riccardo Küpfer – kennen, einen deutschstämmigen Exil-Chilenen. Riccardo kam während seines Unterrichts in Gesprächspsychotherapie bei der Post-hoc-Analyse von Audio-Bändern von Therapiegesprächen mit Klienten häufig zu überraschenden und treffenden Hypothesen. Auf das penetrante Nachfragen, von PWG wie er zu diesen Hypothesen gekommen sei, verwies Riccardo nicht auf den Inhalt des Gesagten, sondern immer wieder auf die Stimmen und den Stimmklang der Klienten. Er gab den Hinweis, dass seine besondere Sensitivität für Stimmen aus seiner ca. 30 Jahren zuvor erworbenen Blindheit resultieren müsse.

Die Begegnungen und die sich daran anschließenden Gespräche, Diskussionen und Erfahrungen mit Trüstedt ermöglichten PWG, die obigen Schlaglichter seiner eigenen Schlüsselerlebnisse bezüglich Musik, Stimmen, Stimmanalyse, selbstgebrauter Hörschulungen und Psychotherapie zu organisieren, zu reflektieren und in einem Modell zur Stimmanalyse und Hörschulung, wie sie in diesem Seminar dargestellt und geübt werden wird, zu fokussieren.
Durch all diese Einflüsse wurde PWG im weiteren Verlauf seiner Biographie klar, dass er zwar eben keine Musikbiographie aber im Zusammenhang mit den unbezahlbaren Häusern, in denen PWG im Laufe seiner Biographie gelebt hatte, und deren unbezahlbarer Klangsignatur, eine explizite und differenzierte Klangbiographie hat.

Zum Thema Stimmanalyse sind bisher erschienen:
Zur Stimmanalyse II
Vokabular der Klänge
Zur Stimmanalyse III
Die Klangbiographie im Unterschied zur Musikbiographie
Zur Stimmanalyse IV
Die Anfertigung der eigenen Klangbiographie
Zur Stimmanalyse V
Die Anfertigung der eigenen Musikbiographie
Zur Stimmanalyse VI
Das Gras wachsen hören?
Sinn und Unsinn von Hi-Fi Anlagen für Expeditionen in die Innenwelt (coming soon)